Vorwort

Was meinen wir überhaupt mit Agrarökologie? Wie sieht Agrarökologie aus? Ist das Modell skalierbar? Gibt es konkrete Beispiele? Wie kann man in diesen Bereich investieren oder ihn unterstützen? Wie ist es um die Produktivität bestellt? Gibt es Daten, die die Effizienz belegen? Wird Agrarökologie den Versprechungen gerecht? Dies sind nur ein paar der Fragen, die oft gestellt werden, wenn wir mit Leuten sprechen, die mit Agrarökologie weniger vertraut sind. Im Gespräch mit Fachleuten werden andere Fragen aufgeworfen:

“Ich glaube nicht, dass sie wirklich von Agrarökologie sprechen: Agrarökologie beschränkt sich nicht auf die Verbesserung der Bodengesundheit; es geht um so viel mehr!”

“Es ist unglaublich: sie reden von Agrarökologie, haben aber den Begriff inhaltlich ausgehöhlt. Es sieht so aus, als wollten sie nur dem industriellen Modell ein grünes Mäntelchen umhängen.“


“So sehen vielleicht Wissenschaftler Agrarökologie, aber kleinbäuerliche Bewegungen haben ein ganz anderes Verständnis.“

“Er/Sie verwendet zwar den Begriff Agrarökologie nicht, aber das Gesagte passt ziemlich genau dazu, wie wir Agrarökologie sehen und definieren.“

So könnte es ewig weitergehen. Ganz allgemein besteht noch Bedarf, zu klären, was Agrarökologie ist und was nicht. Nur so kann es gelingen, politische Unterstützung zu gewinnen, damit die Disziplin Auftrieb erhält, eine Vereinnahmung und Verwässerung des Konzepts zu verhindern, falsche Lösungen zu bekämpfen usw. Soziale Bewegungen, die Zivilgesellschaft, internationale Institutionen und die Wissenschaft haben in den letzten Jahren mehrfach versucht klarzustellen, was Agrarökologie bedeutet. Dieser Trend geht weiter, da sich noch immer viele an einer Verdeutlichung des Begriffs versuchen.

Auch in unserem Netzwerk bemerkten wir ein solches Bedürfnis nach Klarstellung und einer gemeinsamen Ausrichtung. Dies hier ist ein erstes Ergebnis unserer Bemühungen. Es wurde beschlossen, die Prinzipien in Anlehnung an die vier Nachhaltigkeitsdimensionen zu Gruppen zusammenzufassen: die ökologische, die soziale und kulturelle, die ökonomische und die politische Dimension. Diese Vorgehensweise erscheint uns geeignet, weil sie der Komplexität und Multidimensionalität der Agrarökologie gerecht wird. Sie erlaubt ein Verständnis von Agrarökosystemen und Ernährungssystemen unter Berücksichtigung des jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umfeldes.[1] Überdies stützt sie sich auf Prinzipienkategorien, die von anderen Akteur*innen der agrarökologischen Bewegung schon in früheren Arbeiten identifiziert wurden.

Wir haben ein eindeutiges Ziel: Der Begriff der Agrarökologie soll nicht neu definiert werden, sondern es geht um die Identifizierung von Prinzipien, die unsere Sichtweise, aber auch unsere anwaltschaftliche und projektbasierte Arbeit untermauern. Es gilt, eine gemeinsame Vision zu erarbeiten und das Verständnis von Agrarökologie weiterzuentwickeln: Was bedeutet Agrarökologie – aus unserer Sicht eines der Hauptelemente bei der Sicherung von Ernährungssouveränität und Klimagerechtigkeit – und wie sieht sie in der Praxis aus?

Das ist der erste Schritt in einem umfassenderen Prozess, der auch die Entwicklung eines praktischen Leitfadens beinhalten wird. Zusammen mit den Prinzipien soll dieser als Grundlage dienen, um in verschiedenen Teilen der Welt und zwischen den Mitgliedsorganisationen unseres Netzwerkes einen Dialog in Gang zu bringen (zwecks Bewertung aktueller Praktiken und Strategien). Wir leben in einer Zeit, in der unsere Gesellschaften vor tiefgreifenden sozialen, ökologischen und ökonomischen Krisen stehen und der Klimawandel dringend eine fundamentale und radikale Neuausrichtung vorherrschender Produktions- und Konsummuster erfordert. Daher ist es so wichtig, dass die Agrarökologie von vielen verstanden und unterstützt wird. Mit diesem Beitrag hoffen wir, zur Stärkung der agrarökologischen Bewegung beitragen zu können – und genau das ist der Zweck unseres Einsatzes für Agrarökologie.

Prof. Michel Pimbert, Coventry University (UK) 

Einstieg in die Agrarökologie: Hintergrundinformationen

Die drei Facetten der Agrarökologie

Agrarökologie ist:

1. Ein wissenschaftlicher Forschungsansatz, der sich der ganzheitlichen Betrachtung von Agrarökosystemen und Ernährungssystemen verschrieben hat.

2. Ein Konzept aus Prinzipien und Praktiken, welches unter Bewahrung der gesellschaftlichen Integrität die Widerstandskraft und Nachhaltigkeit von Ernährungs- und Landwirtschaftssystemen stärkt.

3. Eine gesellschaftspolitische Bewegung, die Agrarökologie praktisch umsetzt und ein neues Verständnis von Landwirtschaft, Verarbeitung, Vertrieb und Konsum von Lebensmitteln sowie des Verhältnisses zu Gesellschaft und Natur entwickelt.

Wechselseitige Abhängigkeit von Agrarökologie und Ernährungssouveränität

“Es gibt keine Ernährungssouveränität ohne Agrarökologie. Und mit Sicherheit kann Agrarökologie nicht überdauern ohne eine politische Strategie für Ernährungssouveränität, die ihr Rückhalt gibt”. Ibrahima Coulibaly  

Wir stützen uns auf Perspektiven, die von sozialen Bewegungen entwickelt wurden, welche aktiv an der Gestaltung und Definition von Ernährungssystemen mitwirken. Wertschätzend erkennen wir an, was bereits geleistet wurde, um das Konzept der Agrarökologie zu erarbeiten und zu entwickeln, und betrachten dies als unverzichtbare Grundlage unserer eigenen Arbeit.

Die Erklärung von Nyéléni definiert Agrarökologie als eine von Menschen gestaltete Bewegung und Praxis, die aus Wissenschaft und Politik eher zielgerichtete Unterstützung, statt Anleitung braucht. Wir verstehen dies als einen dringenden Ruf nach Berücksichtigung der Expertise von Nahrungsmittelproduzent*innen und all jenen, die Lebensmittel für das Gemeinwesen erzeugen: Sie müssen anerkannt und ins Zentrum von Politik und Bestimmung über Ernährungssysteme gerückt werden. Appelliert wird auch für ein Recht der Menschen auf Mitbestimmung der Ernährungspolitik und landwirtschaftlichen Praxis. Aus dieser Perspektive ist Agrarökologie tatsächlich nicht von Ernährungssouveränität zu trennen.

Prinzipien: Definition und Merkmale

Die Prinzipien sind ein Satz an groben Richtlinien, welche die Grundbausteine der Agrarökologie, ihrer Praktiken und Umsetzung ausmachen. Sie zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:

  • Agrarökologie wirbt für Prinzipien, nicht für feste Regeln oder Rezepturen für einen Übergangsprozess.
  • Agrarökologie ist das Ergebnis der gemeinsamen Anwendung dieser Prinzipien und der zugrundeliegenden Werte bei der Ausgestaltung alternativer Agrar- und Ernährungssysteme. Daher wird anerkannt, dass die Anwendung der Prinzipien schrittweise erfolgt.
  • Die Prinzipien sind ortsunabhängig gültig und münden in verschiedene Praktiken, je nachdem an welchem Ort und in welchem Kontext sie zum Einsatz kommen.
  • Alle Prinzipien sind vor dem Hintergrund eines Lebens im Einklang mit der Natur sowie eines gerechten und würdevollen Umgangs mit Mensch, Tier, Natur und Fortschritt auszulegen.

Auffassungen von CIDSE zur Ernährungssouveränität: Ernährungssouveränität ist ein politischer Rahmen, der sich gegen die Hauptursachen von Hunger und Armut wendet, indem die Kontrolle über Produktion und Konsum von Lebensmitteln in demokratische Prozesse eingebunden wird, die in Ernährungssystemen vor Ort wurzeln. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle von Produktion und Märkten, sondern auch darum, dass die Menschen Zugang zu und Kontrolle über Land, Wasser und genetische Ressourcen haben. Voraussetzung ist die Anerkennung und Befähigung der Bevölkerung und Gemeinschaften, damit sie ihre ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Rechte sowie Bedürfnisse im Hinblick auf Ernährungsvorlieben, Zugang und Produktion von Lebensmitteln wahrnehmen können. Sie ist definiert als: ‚Das Recht der Völker, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen, die einheimische landwirtschaftliche Produktion und den Handel im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung zu schützen und zu regulieren, das Ausmaß ihrer Selbstversorgung eigenständig zu bestimmen und Preisdumping auf ihren Märkten zu beschränken. Ernährungssouveränität steht dem Handel nicht im Wege, sondern fördert die Formulierung von Handelspolitiken und ‑praktiken, die dem Recht der Völker auf Nahrung und eine sichere, gesunde und ökologisch nachhaltige Produktion dienen.“ in “Food Sovereignty: Towards democracy in localised food systems” by Michael Windfuhr and Jennie Jonsén, FIAN-International (2005). CIDSE, EAA (2013). “Whose Alliance? The G8 and the Emergence of a Global Corporate Regime for Agriculture, CIDSE and EAA Recommendations”, p.7.

Agrarökologie veranschaulichen

– Eine Infografik mit den Prinzipien der Agrarökologie

Die Infographik gibt es zum Download in hoher Qualität hier.

1. Die ökologische Dimension von Agrarökologie

1.1 Agrarökologie fördert positive Wechselwirkungen und Synergien, die Integration und Komplementarität verschiedener Elemente von Agrarökosystemen (Pflanzen, Tiere, Bäume, Böden, Wasser usw.) und Ernährungssystemen (Wasserversorgung und Bewässerung, erneuerbare Energien und Verbindungen durch lokale Lieferketten für Lebensmittel).

1.2 Agrarökologie fördert und bewahrt die Vielfalt des Lebens im Boden und schafft so günstige Bedingungen für das Pflanzenwachstum.

1.3 Agrarökologie optimiert und schließt Ressourcenkreisläufe, indem vorhandene Nährstoffe und Biomasse im Agrar- und Ernährungssystem recycelt werden.

1.4 Agrarökologie optimiert und erhält über Zeit und Raum hinweg die Artenvielfalt, auch im Boden (große Bandbreite an Arten und Sorten, genetische Ressourcen, lokal angepasste Sorten/Zuchtformen usw.) – mit Blick auf das einzelne Feld, den landwirtschaftlichen Betrieb sowie die Naturlandschaft an sich.

1.5 Agrarökologie eliminiert schrittweise den Einsatz von synthetischem Dünger und Pestiziden und schafft Unabhängigkeit von externen Betriebsmittel, da Bäuerinnen und Bauern in der Lage sind, durch ökologische Bewirtschaftungsmethoden Schädlinge und Unkraut zu bekämpfen und die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern.

1.6 Agrarökologie unterstützt die Anpassung an den Klimawandel, fördert Resilienz und trägt gleichzeitig zur Verringerung von Treibhausgasemissionen (Minderung und Absorption) bei, weil weniger fossile Brennstoffe verwendet und die Speicherfähigkeit des Bodens verbessert werden.

Auswirkung dieser Dimension:

Durch die ökologische Dimension und die Anwendung dieser Prinzipien, die den natürlichen Ökosystemen abgeschaut sind, fördert Agrarökologie die Schaffung komplexerer Agrarökosysteme. Agrarökologie erhöht die Widerstandsfähigkeit und die Fähigkeit der Systeme, sich an den Klimawandel anzupassen – insbesondere in lokalen Kontexten mit hohen klimatischen Risiken. Beispielsweise ist nachgewiesen, dass eine größere biologische Vielfalt im Boden die Nutzung von Wasser, Aufnahme von Nährstoffen und Krankheitsresistenz der angebauten Nutzpflanzen verbessert. Infolge der höheren Widerstandskraft wirkt die Artenvielfalt oft wie ein „Puffer“ gegen ökologische und ökonomische Krisen. Durch die ökologische Dimension trägt die Agrarökologie deshalb dazu bei, selbstgenügsame, robuste, schadstofffreie Systeme zu schaffen, welche sichere Lebensmittel, Energie sowie anderen Bedarf in erschwinglicher und großer Vielfalt sichern. Die Anwendung der Prinzipien ergibt den zusätzlichen Nutzen, dass Agrarökologie auch zum Klimaschutz beiträgt – etwa durch eine verbesserte Bodengesundheit und die Erholung ausgelaugter Böden (Förderung der Kohlenstoffbindung) oder durch einen geringeren direkten oder indirekten Energieverbrauch (Vermeidung von Treibhausgasemissionen). Durch den effizienten Einsatz von Ressourcen (wie Wasser, Energie usw.) leistet Agrarökologie nicht zuletzt einen Beitrag zur Stärkung der Widerstandskraft und Effizienzsteigerung. Neben diesem Potenzial im Hinblick auf Widerstandsfähigkeit, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel schafft das Konzept der Agrarökologie ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld für all diejenigen, die in der Landwirtschaft tätig sind, und darüber hinaus ein gesundes Lebensumfeld für die Bewohner*innen ländlicher, stadtnaher und städtischer Gebiete, während zugleich die Versorgung der Bevölkerung mit gesunden, nahrhaften und vielfältigen Lebensmitteln gesichert ist.

Michel Pimbert, Professor at Coventry University, UK

Beispiel 1: Widerstandsfähigkeit, extreme Wetterereignisse und Agrarökologie

Mehrere Studien haben untersucht, wie sich die Landwirtschaft in Mittelamerika nach extremen Wetterereignissen (Dürren und Wirbelstürmen) erholt hat. Es hat sich gezeigt, dass landwirtschaftliche Betriebe mit einer großen biologischen Vielfalt, die in eine komplexe Landschaftsmatrix eingebettet sind und lokale Genressourcen in diversifizierten Anbausystemen auf humusreichen Böden sowie Techniken zur Einsparung von Wasser und Sammlung von Regenwasser nutzen, widerstandsfähiger gegenüber Klimakatastrophen sind. So hat etwa eine nach Hurrikan Mitch in Mittelamerika durchgeführte Studie ergeben, dass die Bäuerinnen und Bauern, die Diversifizierungsmaßnahmen ergriffen hatten (wie bodenbedeckende Kulturen, Zwischenfruchtanbau und Agroforstwirtschaft), weniger Schäden erlitten hatten als benachbarte Betriebe mit konventionellen Monokulturen. Ebenso haben Wissenschaftler*innen vierzig Tage nach dem Durchzug von Hurrikan Ike über Kuba im Jahr 2008 herausgefunden, dass diversifizierte Landwirtschaftsbetriebe Verluste in Höhe von 50 % hatten – im Vergleich zu Verlusten von 90-100 % in benachbarten Monokulturen. Auch hatten sich agrarökologisch bewirtschaftete Betriebe 40 Tage nach dem Hurrikan im Hinblick auf ihre Produktion besser erholt (80-90 %) als Betriebe mit Monokulturen

Quellen/weiterführende Informationen

– Machín Sosa, B., Roque Jaime, A. M., Ávila Lozano, D. R., Rosset Michael, P. (2013). Agroecological revolution: The Farmer-to-Farmer Movement of the ANAP in Cuba.

– Holt-Giménez, E. (2002). Measuring Farmers’ agroecological resistance to hurricane Mitch in Central America.

Altieri, M. & Nicholls, C. & Henao, A. & Lana, M. (2015). Agroecology and the design of climate change-resilient farming systems.

Beispiel 2: Veränderung von Böden und Existenzgrundlagen im ländlichen Bangladesch

Auch wenn sie teurer sind als agrarökologische Alternativen, wurden Bäuerinnen und Bauern in Bangladesch seit Ende der 1970er Jahre im Rahmen der Grünen Revolution zunehmend chemische Düngemittel und Pestizide aufgedrängt. Das hatte schädliche Folgen nicht nur für die menschliche Gesundheit, sondern auch für die Boden- und Wasserqualität. Die Subventionierung von Kunstdünger und der Druck auf die Landwirtschaft, mit steigenden Erträgen das rasche Bevölkerungswachstum in Bangladesch auszugleichen, führte zu einer übergroßen Abhängigkeit und unüberlegten Anwendung von chemischen Düngemitteln und Pestiziden und einer Abkehr von organischen Substanzen. Da eine Anreicherung mit organischer Substanz unterlassen wurde, sind die Böden in weiten Teilen Bangladeschs inzwischen zu nährstoffarm, um die landwirtschaftliche Produktivität zu gewährleisten.

Angesichts einer zunehmenden Gefährdung durch den Klimawandel wirkt sich das geringe Vorkommen organischer Bodensubstanz auch auf die Ernährungssicherheit in Bangladesch aus. Unvorhersehbare Regenfälle und unerwartete Wettererscheinungen machen es den Bäuerinnen und Bauern immer schwerer, ihre Produktion effektiv zu planen. Hinzu kommt die geschädigte Bodenqualität. Für landwirtschaftliche Kleinbetriebe in Bangladesch ist eine Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit daher von zentraler Bedeutung, um sich gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Nur so können die Bauernfamilien Lebensmittel für sich und ein weiteres Umfeld erzeugen, lokale Märkte stärken und solide, nachhaltige Existenzgrundlagen für künftige Generationen aufbauen.

CAFOD hat eine Partnerschaft mit Caritas Bangladesch, USS Jessore, Practical Action Bangladesh und Caritas Schweiz begründet und die Prinzipien der Agrarökologie in den Mittelpunkt eines dreijährigen von DFID geförderten Projektes zugunsten klimaresistenter Landwirtschaft gestellt. Miteinbezogen sind kleinbäuerliche Gemeinschaften in den Bezirken Dinajpur, Rajshahi, Jessore und Sylhet.

Eine Schlüsselkomponente des Projektes ist es, die Herstellung und Nutzung von Biodünger durch Wurmkompostierung in Schulungen zu verbreiten. Hierbei handelt es sich um ein nährstoffreiches, organisches Düngemittel, das mit Hilfe von Kompostwürmern entsteht. Zugefügt werden Materialien, die es in jedem kleinbäuerlichen Betrieb gibt, wie etwa Kuhfladen, Bananenblätter und Küchenabfälle. Die Projektteilnehmer*innen wurden erst in der Herstellung von Wurmkompost geschult, besuchten Demonstrationsflächen und begannen dann damit, ihren eigenen Wurmkompost herzustellen und auszubringen. Die Ergebnisse sind bemerkenswert.

Bäuerinnen und Bauern im gesamten Projektgebiet beobachten infolge der Verwendung von Wurmkompost eine höhere Fruchtbarkeit ihrer Felder in Form einer besseren Qualität und Quantität ihrer Ernten. Daneben verzeichnen sie weniger Schädlingsplagen und Krankheiten, die sonst ihre Produktion beeinträchtigt haben. Das Projekt stellt fest: über 8.600 teilnehmende Haushalte konnten ihre Lebensmittelproduktion nach dem Einsatz von Wurmkompost auf den Feldern um mindestens 20 % steigern. 6.327 teilnehmende Haushalte konnten zuvor unproduktives Land nach Anwendung von Flachkompostierung mit Wurmhumus für Mischkulturen (mit 3-12 unterschiedlichen Gemüsearten) nutzen. Darüber hinaus geben 7.067 Haushalte an, durch das Projekt ein Zusatzeinkommen erzielt zu haben – vor allem durch den Verkauf von Ernteüberschüssen nach dem Einsatz von Wurmkompost. Diese Ergebnisse bestätigt eine Forschungsarbeit von CAFOD‘s Partner Practical Action und IIED [International Institute for Environment and Development] aus dem Jahr 2016. Darin wird zur Förderung agrarökologischer Praktiken durch einen verbreiteten Einsatz von organischen Substanzen (darunter auch Wurmkompostierung) zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit und der landwirtschaftlichen Produktion aufgerufen.

Razia Begum aus Jessore konnte ihre Bittermelonen-Produktion durch die Verwendung von Wurmkompost und pflanzlicher Pestizide um 150 % steigern, während sie gleichzeitig deutlich weniger Kunstdünger brauchte. In der Folge konnte Razia nicht nur ihre Familie ausreichend ernähren, sondern auch durch den Verkauf von Überschüssen und Wurmkompost ein zusätzliches Einkommen erzielen. Darüber hinaus konnte sie durch ihr Fachwissen über Wurmkompostierung etwas hinzuverdienen: sie hat in Bauernschulen in ihrem Dorf Kurse gegeben. Ihr Mann, der ihrem Engagement im Rahmen des Projektes zunächst skeptisch gegenüberstand, weil ihr dadurch weniger Zeit für die Hausarbeit blieb, sieht Razias unternehmerische Initiative inzwischen positiv. Genau wie Razia beobachtet auch Jamal Hossain aus dem Verwaltungsbezirk Lebutola eine Verbesserung bei den Mengen, dem Aussehen, der Lagerfähigkeit und dem Geschmack seiner Feldfrüchte, seit er Wurmkompost und pflanzliche Pestizide anstelle von Kunstdünger verwendet: „Ich glaube fest an diese Anbaumethode und habe jetzt Beweise, um meiner Nachbarschaft zu zeigen, dass es funktioniert! Wurmkompost ist nicht nur gut für meine Ernte und mein Einkommen, sondern auch für die Umwelt und unsere Gesundheit. Wir müssen die nächste Generation dazu ermutigen, vom Einsatz der Chemie wegzukommen, und uns dem ökologischen Anbau zu verschreiben – das ist viel besser.“

Das Projekt hat nicht nur die Ernteerträge gesteigert und damit die Ernährungssicherheit verbessert. Auch die Bodengesundheit hat sich erholt, es gibt weniger Schädlinge und Pflanzenkrankheiten, das Einkommen aus der Landwirtschaft ist gestiegen und es bieten sich mehr unternehmerische Chancen für Frauen in den Dörfern. Im Rahmen des Projektes wurden die wirtschaftlichen und ökologischen Prinzipien der Agrarökologie praktisch umgesetzt und es wurde eine nachhaltige Landwirtschaft gefördert, die den Menschen und dem Planeten nutzt.

Quellen/weiterführende Informationen

Für weiterführende Informationen darüber, wie agrarökologische Anbaumethoden die Bodenfruchtbarkeit in Bangladesch verbessern können, wird auf die Forschungsarbeit von Practical Action und IIED verwiesen:“Collaborative Action on Soil Fertility in South Asia“.

Beispiel 3: Bessere Widerstandsfähigkeit durch Mangroven-Reisanbau

Der Mangroven-Reisanbau ist ein widerstandsfähiges System, das seit dem 15. Jahrhundert in Westafrika praktiziert wird. Es handelt sich um Land, das durch den arbeitsintensiven Bau eines Dammgürtels dem Meer abgerungen wird und dessen Salz- und Säuregehalt durch die sorgfältige Zufuhr von (Regen‑ und Meer‑)Wasser kontrolliert wird. Für den Anbau eignen sich Reissorten, die dem Salzwasser und der Trockenheit trotzen und aus heterogenen Saatgutbanken stammen, die zumeist über die Jahre von den Bäuerinnen und Bauern selber angelegt, verbreitet und vermehrt wurden. Der Mangroven-Reisanbau kommt ohne Kunstdünger, Herbizide oder Fungizide aus.

In Guinea-Bissau, einem Land mit einem sehr hohen Reisverbrauch pro Kopf (110-120 kg/Jahr) und einer starken Importabhängigkeit, bedrohen der Niedergang der kleinbäuerlichen Ökonomie und die Verringerung der Sortenvielfalt beim Reis das produktive und kulturelle sozioökologische System des Mangroven-Reisanbaus, dem sich vor allem die ethnische Gruppe der Balanta widmet. Deshalb hat über zehn Jahre hinweg LVIA-FOCSIV zusammen mit örtlichen Interessensvertretern eine nationale Resilienz-Strategie entwickelt und umgesetzt, die auf dem Mangroven-Reisanbau, diversifizierter Landwirtschaft, einer ausgewogeneren Ernährung und kürzeren Lieferketten basiert. Die Strategie hat unterschiedliche Komponenten und fördert etwa das Bewusstsein für und die Kenntnisse über die Nutzung von Mangrovengebieten, eine effizientere kommunale Wasserwirtschaft und das Agrarsystem. Das bessere Wissen und Knowhow gingen einher mit der Entwicklung von Bewässerungsanlagen und einem Programm für angewandte Forschung zwecks Optimierung der einheimischen Reissorten. Dabei lag ein Augenmerk auf der Anpassung, aber auch der Ertragssteigerung unter Berücksichtigung von Zubereitungsformen und Ernährungsgewohnheiten. Die Strategie wurde gemeinsam von und mit Dorfgemeinschaften („tabanka“), Genossenschaften, Regierungsvertreter*innen und Forschungszentren ausgearbeitet und weitergetragen. Mitbeteiligt war auch die immer stärker werdende Kleinbauernbewegung und es wurden soziale und institutionelle Kapazitäten gestärkt, um die Resilienz des Systems zu verbessern und Schwächen abbauen zu können.

Bisher haben eine verbesserte Hydraulik und Wasserwirtschaft in Verbindung mit der Übernahme optimierter Anbaumethoden im Rahmen eines ausgewogenen agrarökologischen Systems Reiserträge von 4 t/ha ermöglicht, wobei kein chemischer Input (Dünger, Herbizide und Fungizide) zum Einsatz kam. Das ist mehr als doppelt so viel wie der Durchschnittsertrag auf nicht bewässerten Reisfeldern in der Ebene (1-2,5 t/ha mit agro-industriellen Inputs und sogar nur 0,7-1,2 t/ha bei begrenzten agro-industriellen Inputs). Die Steigerung der Produktivität von Land und Arbeitskraft ist ein erstaunliches Ergebnis und bedeutet unter dem Strich ein besseres Einkommen für die kleinbäuerliche Bevölkerung, mehr Investitionen vor Ort und die Einbindung junger Menschen in die Landwirtschaft. Gleichzeitig ist die Wertschätzung für dieses spezielle sozioökologische System gestiegen. Das verbesserte Selbstwertgefühl der Bäuerinnen und Bauern unter den Balanta in Guinea-Bissau drückt sich u. a. darin aus, dass sie von ihrer Regierung den Schutz ihres lokalen Produktes aktiv einfordern. Sie verlangen nicht nur Unterstützung in Form von Investitionen, sondern auch den Aufbau eines Erfahrungsaustausches, Dialogs und strategischen Denkens, „um unsere Arbeit und die lokale Vermarktung unseres Reis zu verbessern“ (Siaca – Bäuerinnen und Bauern aus dem Dorf Kampiane, Guinea-Bissau). Die Resilienz-Strategie hat die Fähigkeit der Dorfgemeinschaften gestärkt, auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung mehr Einfluss auf Regierungsentscheidungen zu nehmen.

Das Beispiel zeigt insbesondere die ökologische Dimension von Agrarökologie mit der positiven Interaktion, Synergien, der Integration und Komplementarität verschiedener Elemente von Agrarökosystemen. Zugleich ist es Beleg für die ökonomische Dimension von Agrarökologie, denn es zeigt sich, dass Agrarökologie die Abhängigkeit von Hilfe verringert und die Autonomie von Gemeinschaften stärkt, indem nachhaltige Existenzgrundlagen sowie die Menschenwürde und Unabhängigkeit von externen Betriebsmitteln gefördert werden.

Quellen/weiterführende Informationen:

-Cerise, S., Mauceri, G., Rizzi, I. (2017). Mangrove Rice Cultivation in Guinea Bissau within “The Construction of communities’ resilience in African Countries – Three case studies by FOCSIV NGOs”, Collana Strumenti, FOCSIV n.49.

-Temudo, M. (2011). Planting Knowledge, Harvesting Agro-Biodiversity: a case study of Southern Guinea-Bissau rice-farming; Hum. Ecol (2011) 39: 309-321, Springer Science.

-Andreetta, A., Delgado Huertas, A., Lotti, M., Cerise, S. (2016). Land use changes affecting soil organic carbon storage along a mangrove swamp rice chronosequence in the Cacheu and Oio regions (Northern Guinea-Bissau) Agriculture, Ecosystem and Environment 216 (2016) 314-321.

Reportage (in italienischer Sprache)

2. Die soziale und kulturelle Dimension von Agrarökologie

2.1 Agrarökologie wurzelt in der Kultur, Identität, Tradition, Innovation und dem Wissen lokaler Gemeinschaften

2.2 Agrarökologie trägt zu einer gesunden, vielfältigen und saisonal sowie kulturell angepassten Ernährung bei.

2.3 Agrarökologie ist wissensintensiv und fördert Vernetzung und horizontalen Austausch von Wissen, Fertigkeiten und Innovationen, wobei auch Allianzen entstehen, in deren Rahmen Bauern und Bäuerinnen mit Wissenschaftler*innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

2.4 Agrarökologie schafft und fördert Gelegenheiten zur Solidarität und Austausch zwischen und innerhalb kulturell unterschiedlicher Gruppen (z. B. verschiedene Ethnien mit ähnlichen Werten, aber unterschiedlichen Herangehensweisen) und zwischen Menschen auf dem Land und in der Stadt.

2.5 Agrarökologie respektiert die Vielfalt der Menschen im Hinblick auf Geschlecht, Abstammung, soziale Orientierung und Religion, schafft Chancen für junge Menschen und Frauen, ermutigt Frauen, eine führende Rolle einzunehmen, und fördert die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

2.6 Agrarökologie erfordert nicht notwendigerweise eine kostspielige externe Zertifizierung, da es oftmals um das Verhältnis zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen geht und um das gegenseitige Vertrauen, wodurch Alternativen zur Zertifizierung entstehen – etwa in Form partizipativer Garantiesysteme (PGS) und solidarischer Landwirtschaft (SoLaWi).

2.7 Agrarökologie unterstützt Menschen und Gemeinschaften, ihre spirituelle und materielle Beziehung zu ihrem Land und ihrer Umgebung zu bewahren.

Auswirkung dieser Dimension

Ausgangspunkt ist das Vorwissen, die Fähigkeiten und Überlieferungen von denjenigen, die Landwirtschaft betreiben und Lebensmittel erzeugen. Deshalb ist Agrarökologie besonders gut geeignet, das Recht dieser Menschen auf Nahrung zu sichern. Agrarökologie ermöglicht die Entwicklung angepasster Technologien, die zugeschnitten sind auf die spezifischen Bedürfnisse und Lebensumstände kleinbäuerlicher Gemeinschaften, Landloser, Indigener, Nomadenvölker oder Gemeinschaften, die vom Fischfang, ihren Herden oder von der Jagd und dem Sammeln von Lebensmitteln leben. In den meisten Entwicklungsländern ist die Landwirtschaft nach wie vor der Haupterwerbszweig, so dass diese Branche die besten Chancen für eine inklusive Entwicklung bietet. Damit kann ein Beitrag geleistet werden, um der Landflucht und dem Auseinanderbrechen von Familien Einhalt zu bieten. Wenn die Menschen agrarökologische Praktiken erlernen und anwenden und die Wertschöpfung bis zu den Endverbraucher*innen beeinflussen können, wird das Leben auf dem Land und die Erzeugung von Nahrungsmitteln (in einem ländlichen oder städtischen Umfeld) wieder attraktiver und gesellschaftlich anerkannt. Die Folge ist eine florierende lokale Wirtschaft, sozialer Zusammenhalt und Stabilität.

Indem diejenigen, die Nahrungsmittel erzeugen, (durch den Austausch über nützliche Praktiken, Schulungen usw.) ins Zentrum der Ernährungssysteme gestellt werden und die Autonomie und Wiederbelebung ländlicher Gebiete gefördert werden, trägt Agrarökologie dazu bei, der kleinbäuerlichen Identität einen neuen Wert zu geben, das Selbstvertrauen zu stärken und zur aktiven Beteiligung an lokalen Ernährungssystemen anzuregen.

Lynn Davis, La Via Campesina (UK)

Indem Produzent*innen und Verbraucher*innen durch kürzere, lokale Wertschöpfungsketten enger zusammengebracht werden und die Rolle und Mitsprache beider Gruppen gestärkt werden, leistet Agrarökologie einen Beitrag um Ernährungssysteme gerechter zu gestalten und von der Macht der Konzerne abzukoppeln. Solidarität und Vertrauen im Verhältnis zwischen Hersteller*innen und Konsument*innen werden gestärkt und es ist dafür gesorgt, dass beide Gruppen nahrhafte, gesunde und kulturell angepasste Nahrungsmittel zur Verfügung haben. Die Vielfalt an Lebensmitteln vor Ort wird unterstützt, was dazu beiträgt, kulturelle Identitäten zu bewahren. Ein höherer Anteil an Direktverkäufen verbessert überdies die CO2-Bilanz des Ernährungssystems und verringert die Umweltbelastung durch weniger Verarbeitung, Verpackung und kürzere Transportwege.

Krinshnakar Kumari, MIJARC (India)

Agrarökologie schafft Chancen für Frauen, ihre wirtschaftliche Autonomie zu verbessern und bis zu einem gewissen Grad Einfluss auf bestehende Machtverhältnisse zu nehmen, auch im häuslichen Umfeld. Dabei steht auch den Männern eine größere Vielfalt an Rollen und Wertschätzung offen. Agrarökologie als Bewegung ist inklusiv und tritt daher für Frauenrechte ein: die Rolle von Frauen in der Landwirtschaft wird anerkannt und gefördert und Frauen werden dazu ermutigt, sich aktiv einzubringen. Da es im Grunde um einen Kampf für soziale Gerechtigkeit und Emanzipation geht, sollte die agrarökologische Bewegung immer auch den Feminismus mit berücksichtigen. Weil aber Agrarökologie das Geschlechterverhältnis nicht automatisch positiv beeinflusst, ist es nötig, bei der Umsetzung der Agrarökologie mit den verschiedenen Dimensionen stets die Frauen besonders im Blick zu haben.

Beispiel 1: Zugang zu Land und Agrarökologie: ein Beitrag zur Stärkung von Frauen in Indien

Sozialer Wandel und die Stärkung der Rolle der Frau sind wesentliche Elemente der Agrarökologie. Eine kürzlich im indischen Maharashtra durchgeführte Studie, bei der 400 kleinbäuerliche Haushalte interviewt wurden, zeigt auf, wie Frauen eine nachhaltige und diversifizierte Lebensmittelproduktion in Gang gesetzt haben, nachdem sie Zugang zu Land bekommen hatten. Im Untersuchungsgebiet hatten Frauen sehr geringe Entscheidungsbefugnisse in der Landwirtschaft. Im Rahmen des sogenannten „Ein-Acre-Modells“ wurden Frauen dazu aufgerufen, von ihren Männern ein eigenes Stück Land zur Bewirtschaftung einzufordern. Auf diesen Feldern bauten sie verschiedene Feldfrüchte an (Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse). Mithilfe von Praktiken wie dem Mischanbau vergrößerten sie die Erntevielfalt; durch die Nutzung von Dung, Kompost und organischen Abfällen reduzierten sie den Einsatz von Kunstdünger, auch bauten sie weniger Cash Crops (Zuckerrohr, Sojabohnen) an, um die Ernährungssicherheit und die Ressourceneffizienz beim Wasserverbrauch zu verbessern. Das war bedeutsam, weil die Region eine der schlimmsten Dürren seit 75 Jahren durchmachte.

Die Studie zeigte, dass wegen dieser positiven Veränderungen im Hinblick auf die Geschlechterrollen, und weil mehr Lebensmittel zur Verfügung standen, Mädchen und Frauen mehr und gesünderes Essen zu sich nehmen konnten. Die im Rahmen der Studie Befragten ließen keinen Zweifel daran, dass Qualität und Frische der Nahrungsmittel deutlich zugenommen hatten und sich in der Folge der Gesundheitszustand der gesamten Familie gebessert hatte. Der Wert der zu Hause verzehrten Speisen war 67 % höher im Vergleich zur Kontrollgruppe, die sich auf den Anbau von Cash Crops konzentriert hatte. Wird der Wert des konsumierten Essens auf das Bruttogesamteinkommen der Haushalte angerechnet, zeigt sich, dass der agrarökologische Ansatz einen positiven Einfluss auf die bäuerlichen Haushaltseinkommen hatte. Das war insbesondere vor dem Hintergrund der Dürre bedeutsam, welche ärmere Haushalte tief in die Verschuldung trieb.

Darüber hinaus belegte die Studie, dass durch diesen Ansatz die meisten Frauen die Möglichkeit bekamen, über das Land, den Anbau und sogar die Vermarktung der Produkte zu bestimmen. Neben dem Zugang zu Land war die Beteiligung der Frauen an Führungskursen und Frauengruppen ausschlaggebend. Fast ein Viertel der Frauen wurde selbst zu Ausbilderinnen und Anführerinnen, um das Wissen über agrarökologische Anbaumethoden, landwirtschaftliche Betriebsführung und Vertrieb mit anderen zu teilen.

Bei der sozialen und kulturellen Dimension von Agrarökologie geht es unbedingt auch um Rollen und den Versuch, gleichberechtigte Beziehungen auf allen Ebenen des Ernährungssystems anzustreben und zu unterstützen. Das Beispiel zeigt, wie Agrarökologie durch eine Genderausrichtung und die Berücksichtigung von Frauen zu ihrer Stärkung beitragen kann.

Quellen/weiterführende Informationen

Bachmann, Lorenz, Gonçalves, André, Nandul, Phanipriya (2017). Empowering women farmers’ for promoting resilient farming systems. Sustainable pathways for better food systems in India.

3. Die ökonomische Dimension von Agrarökologie

3.1 Agrarökologie stärkt faire, kurze und netzartige Vermarktungswege anstelle linearer Lieferketten und schafft ein transparentes (in der formellen Wirtschaft oft unsichtbares) Beziehungsnetzwerk zwischen Erzeuger*innen und Verbraucher*innen.

3.2 Agrarökologie schafft in erster Linie Existenzgrundlagen für kleinbäuerliche Haushalte und trägt dazu bei, die Märkte, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt vor Ort zu stärken.

3.3 Agrarökologie basiert auf der Vision einer sozialen und solidarischen Wirtschaft.

3.4 Agrarökologie fördert die Resilienz der Haushalte durch eine Diversifizierung von Produktion und Existenzgrundlagen, die Unabhängigkeit von externen Betriebsmitteln und reduziert durch das breit aufgestellte System das Risiko eines Ernteausfalls.

3.5 Agrarökologie stärkt die Leistungsfähigkeit lokaler Märkte und gibt Lebensmittelproduzent*innen die Möglichkeit, ihre Erzeugnisse zu fairen Preisen zu verkaufen und auf die lokale Nachfrage zu reagieren.

3.6 Agrarökologie verringert die Abhängigkeit von externer Hilfe und erhöht die Autonomie der Bevölkerung, indem sie nachhaltige Existenzgrundlagen und die Würde der Menschen fördert.

Auswirkung dieser Dimension

Judith Hitchman, President & co-founder of Urgenci

Durch die Nutzung lokaler Ressourcen und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln für lokale und regionale Märkte hat die Agrarökologie das Potenzial zur Förderung lokaler Wirtschaftssysteme und kann einen Beitrag dazu leisten, die negativen Folgen des „freien“ Welthandels für kleinbäuerliche Existenzen zu vermeiden. Agrarökologische Praktiken sind wirtschaftlich sinnvoll, da agrarökologische Anbaumethoden die Kosten für externe Betriebsmittel und damit die finanzielle und technische Abhängigkeit verringern und den Lebensmittelerzeuger*innen größere Autonomie lassen. Dank einer Diversifizierung der Produktion und der kleinbäuerlichen Tätigkeit sind die Produzent*innen weniger anfällig für marktbezogene Risiken wie volatile Preise und Verluste infolge extremer Wetterereignisse, die durch den Klimawandel zunehmen. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern profitieren in besonderem Maße von einer Umsetzung der Agrarökologie, weil sie ihre Erträge und Einkommen nachhaltig steigern und ihre Ernährungssicherheit verbessern können. Im Hinblick auf Produktivität und Einkommen nutzt Agrarökologie ganz besonders den weniger wohlhabenden Haushalten und kann deshalb als grundsätzlich „armenorientiert“ bezeichnet werden. Agrarökologie bringt auch einen Nutzen für die Volkswirtschaft durch die Bereitstellung von angepasster Technologie und lebensmittelbasierten Beschäftigungsmöglichkeiten in ländlichen und peri-urbanen Gebieten. Aber sogar für Stadtbewohner*innen mit kleinen Grundstücken oder Zugang zu öffentlichem Land bietet sich eine Lebensgrundlage. Eines der erklärten Ziele der Agrarökologie ist es, menschenwürdige Arbeit zu schaffen, welche die Menschenrechte respektiert und den Erzeuger*innen von Lebensmitteln ein Auskommen sichert. Durch kürzere Wege zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen verringert die Agrarökologie die Kosten für Lagerung, Kühlung und Transport, was auch Nahrungsmittelverluste und das Abfallaufkommen minimiert. Agrarökologie berücksichtigt in vollem Umfang die externen Kosten für Gesellschaft und Umwelt, da weniger Abfall anfällt und gesundheitliche Folgen verringert werden. Daneben sind positive externe Effekte zu verzeichnen – wie etwa die Gesundheit der Ökosysteme, ihre bessere Widerstandskraft und Regeneration.

Beispiel 1: Agrarökologie nützt ländlichen Wirtschaftssystemen

2016 bereitete Trócaire zusammen mit der lokalen Partnerorganisation Red K’uchubal einen Forschungsaufruf vor. Ziel war es, die Veränderungen im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung und Resilienz unter Kleinbauernfamilien einzuschätzen, die im westlichen Guatemala agrarökologische Praktiken übernommen hatten. Das Programm für Territoriale und Ländliche Studien an der Universität San Carlos in Guatemala wirkte federführend in dem Team mit, das 2016 die Untersuchung durchführte. Es wurden Kennzahlen basierend auf einer ganzen Reihe sozialer, ökonomischer und ökologischer Kriterien betrachtet, wobei eine Gruppe von zehn agrarökologisch wirtschaftenden Bauernfamilien mit zehn semi-konventionellen Familienbetrieben verglichen wurde. Die Untersuchungsergebnisse wurden 2017 veröffentlicht und finden sich in einem auf Spanisch abgefassten Bericht (mit einer kurzen Zusammenfassung in Englisch) sowie einem Video in spanischer Sprache mit englischen Untertiteln.

Was die ökonomische Dimension von Agrarökologie angeht, fand die Studie statistisch signifikante Unterschiede bei den landwirtschaftlichen Bruttoeinkommen. Die agrarökologisch wirtschaftenden Betriebe verzeichneten ein höheres Einkommen aus der Landwirtschaft als die der semi-konventionell arbeitenden Vergleichsgruppe. Im Ergebnis berichteten die agrarökologischen Bäuerinnen und Bauern, genug Einkommen zu erzielen, um ganzjährig von ihrem Land leben zu können, während ihre semi-konventionellen Pendants angaben, außerhalb der Landwirtschaft hinzuverdienen zu müssen, um ihr Einkommen aufzustocken. Dieses Ergebnis basiert auf mehreren Faktoren:

– Vergleichbare Ernteerträge etwa für Mais – aber ohne Abhängigkeit von teuren Betriebsmitteln wie Kunstdünger, Pestiziden und Herbiziden,

– Bessere Einbindung in lokale Märkte verbunden mit einer größeren Vielfalt der Produktion und

– Geringere Abhängigkeit vom Zukauf von Lebensmitteln, um die Eigenversorgung und den Nährstoffbedarf zu erfüllen; agrarökologische Haushalte gaben im Vergleich zu konventionellen Haushalten pro Woche durchschnittlich nur 47% des Geldes für Lebensmittel aus.

Das Video beschäftigt sich mit der Entwicklung agrarökologischer Produktionsketten und der wichtigen Rolle von Agrargenossenschaften bei der Vermarktung agrarökologischer Produktlinien; es zeigt, wie Agrarökologie bäuerliche Existenzen sichert und gleichzeitig zur Stärkung lokaler Märkte und Wirtschaftssysteme, sowie des Arbeitsmarktes vor Ort beiträgt.

Quellen/weiterführende Informationen

Praun, A., Calderón, C., Jerónimo, C., Reyna, J., Santos, I., León, R., Hogan, R., Córdova, JPP. (2017). Algunas evidencias de la perspectiva agroecológica como base para unos medios de vida resilientes en la sociedad campesina del occidente de Guatemala.

Beispiel 2: Wie eine Mikrofinanzinstitution Finanzprodukte an der Umweltverträglichkeit von Anbaumethoden ausrichtet

Die Entwicklung und Finanzierung des Übergangs und der Übernahme agrarökologischer Praktiken ist ein wichtiges Thema für viele Landwirtschaftsorganisationen in Westafrika. Die Akteure im Rahmen des PAIES-Programme, CCFD und SIDI (der Mikrofinanzzweig von CCFD), beschäftigen sich seit 2014 im Auftrag ihrer Partner mit diesem Thema, um das PAIES-Programm auf die Beine zu stellen (welches landwirtschaftlichen Betrieben beim Übergang zur Agrarökologie helfen soll). Der Übergang ist nicht alleine durch direkte Hilfen der NRO zu bewerkstelligen; er muss in Mikrofinanzangebote und ‑produkte für Bäuerinnen und Bauern eingebettet sein.

Als Reaktion auf Probleme aller Bauernverbände hat UBTEC, eine Mikrofinanzinstitution (Caisse d’Epargne et Crédit), die agrarökologischen Praktiken der Mitglieder untersucht, um Finanzprodukte mit einem Bonus-/Malus-System (einem niedrigeren bzw. höheren Zinssatz) zu entwickeln, welches an die Umweltverträglichkeit der Anbaumethoden gekoppelt ist.

Die Untersuchung lieferte eine Übersicht über landwirtschaftliche Praktiken im nördlichen Burkina Faso und analysierte die Rentabilität der Produktion in Abhängigkeit von Methoden und Praktiken (Nutzung von Chemikalien gegenüber Agrarökologie). Es entstand ein Katalog der nachhaltigsten Praktiken in der Landwirtschaft und über die Landwirtschaft hinaus (unter ständiger Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit). Dieser Katalog ermöglichte es UBTEC, durch seine aktuellen Finanzprodukte nachhaltige Methoden zu fördern.

Es zeigte sich, dass manche Anbauerzeugnisse potenziell profitabler sind, wenn die Bäuerinnen und Bauern einen agrarökologischen Ansatz und Methoden verwenden wie etwa den Einsatz organischer Düngemittel und natürlicher Pestizide (Zwiebeln, Kartoffeln oder Kuhbohnen). Daneben gab es aber auch welche, die am Ende weniger rentabel oder unrentabel sein konnten (Tomaten, Chilis oder Kohl). Das ist eine wichtige Erkenntnis. Es muss eine Balance gefunden werden zwischen der Rentabilität und dem agrarökologischen Ansatz, der die Umwelt und die Gesundheit von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen schont. Durch die Untersuchung wurden die Merkmale agrarökologischer Praktiken dargelegt, um auf Ebene des einzelnen landwirtschaftlichen Betriebs ein Modell für die Umsetzung und Prioritätensetzung erstellen zu können. Untersuchungsgegenstand waren ferner verschiedene Arten von Investitionen, die Bäuerinnen und Bauern zwecks Ertragserhöhung tätigen, Lock-in-Effekte, denen sich Lebensmittelerzeuger*innen gegenübersehen, und mögliche Strategien, diese zu reduzieren. Diese unterschiedlichen Komponenten der Forschungsarbeit erlaubten es UBTEC, Finanzierungsinstrumente zu entwickeln und landwirtschaftliche Aktivitäten zur Finanzierung auszuwählen, aber auch Kreditnehmer*innen bei der Übernahme von Agrarökologie praktisch zu unterstützen. So wurden Ende 2017 als Ergebnis der Untersuchung und Partnerschaft neue Finanzprodukte aufgelegt (saisonale Landwirtschaftsdarlehen), die durch einen Garantiefonds gesichert sind. Dabei hat UBTEC begonnen, den Mitgliedern Geld zu einem variablen Zinssatz zu leihen, der von den verwendeten landwirtschaftlichen Praktiken und ihrer Umweltverträglichkeit abhängig ist. Für Agrarökologie gibt es einen niedrigeren Zinssatz, für nicht agrarökologische Methoden einen höheren Zinssatz. Seit der Einführung dieses Angebotes vor vier Monaten sind schon 450 Anträge von Landwirtschaftsbetrieben auf Finanzierung agrarökologischer Praktiken eingegangen.

Quellen/weiterführende Informationen

“Rapport de l’étude pour adapter les produits financiers de l’UBTEC avec un système de Bonus/Malus en fonction de l’impact environnemental des activités financées : Programme PAIES »

http://docplayer.fr/71357247-Rapport-final-union-des-baore-tradition-d-epargne-et-de-credit-naam-ubtec-bp-100-ouahigouya-tel-mail-btecfngnyahoo.html

Video über die Untersuchung und ihre Durchführung.

4.Die politische Dimension von Agrarökologie

4.1 Agrarökologie stellt die Bedürfnisse und Interessen von kleinen Lebensmittelerzeuger*innen, die den Großteil der Nahrungsmittel in der Welt liefern, vor die Interessen der Konzerne der Agrar- und Ernährungsindustrie.

4.2 Agrarökologie verfolgt das Ziel, dass Saatgut, Artenvielfalt, Land und Territorien, Wasser, Wissen und andere Ressourcen in der Hand der Menschen bleiben, die Lebensmittel erzeugen, und erreicht damit ein besser integriertes Ressourcenmanagement.

4.3 Agrarökologie kann Machtverhältnisse ändern, indem eine größere Beteiligung von Lebensmittelerzeuger*innen und ‑verbraucher*innen an den Entscheidungsprozessen über Ernährungssysteme ermöglicht wird und neue Governance-Strukturen geschaffen werden.

4.4 Agrarökologie braucht Unterstützung durch politische Rahmenbedingungen, durch Politiker*innen und Institutionen sowie öffentliche Investitionen, um das gesamte Potenzial auszuschöpfen.

4.5 Agrarökologie fördert Formen sozialer Organisation, die Voraussetzung für dezentralisierte Politikgestaltung und lokale Mitgestaltung der Agrar- und Ernährungssysteme sind. Sie schafft darüber hinaus Anreize, sich selbst zu organisieren und in Gruppen und Netzwerken auf verschiedensten Ebenen – ob lokal oder global – kollektiv tätig zu sein (Bauernorganisationen, Verbraucherverbände, Forschungseinrichtungen, Hochschulen usw.).

Auswirkung dieser Dimension

Durch ihre politische Dimension verschiebt Agrarökologie die Machtverhältnisse in Ernährungssystemen, derzeit in den Händen von immer weniger Konzernen der Agrarindustrie mit ihren spezifischen Interessen, hin zu den Direkterzeuger*innen, d. h. den Kleinbetrieben, die den Großteil der Nahrungsmittel in der Welt produzieren. Die Ungerechtigkeiten des bestehenden globalen Ernährungssystems, verursacht durch die Macht von Unternehmen, werden in Frage gestellt und dekonstruiert. Im Rahmen des Ansatzes zur Ernährungssouveränität steht Agrarökologie für einen demokratischen Übergang hin zu Ernährungssystemen, welche Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Nomadenvölker, vom Fischfang lebende und indigene Bevölkerungsgruppen, Verbraucher*innen und andere Gruppen ermächtigen und  ihnen eine Stimme geben, um auf kommunaler, sowie nationaler und internationaler Ebene die Politik mitzubestimmen. Diese Gruppen bekommen damit die Möglichkeit, ihr Recht auf Nahrung einzufordern bzw. durchzusetzen.

https://www.youtube.com/watch?v=MIP_ikVX1fU

Judith Hitchman, Urgenci (France/UK) & Pedro Guzman, RENAF (Colombia)

Die politische Dimension von Agrarökologie findet ihren praktischen Niederschlag in der Ernährungssouveränität, die kleine Lebensmittelproduzent*innen in den Mittelpunkt der sie betreffenden politischen Prozesse und Entscheidungen stellt. Es geht um mehrfache Herausforderungen, von der Sicherung des Zugangs zu Ressourcen (Land, Wasser, Saatgut) über Ernährungssicherheit bis hin zu Klimaresilienz mit nachhaltigen und langfristigen Lösungen, die die agrarökologische Diversifizierung und Ernährungssouveränität befördern. Agrarökologische Bewegungen, die üblicherweise aus Lebensmittelproduzent*innen an der Basis bestehen und im direkten Kontakt mit Verbraucher*innen stehen, setzen sich für eine Verbreitung der Agrarökologie in der Bevölkerung ein (horizontale Expansion). Daneben erfordert die politische Dimension eine vorteilhafte Umgebung im Hinblick auf die öffentliche Politik, in der agrarökologische Lösungen sich verbreiten können (vertikale Expansion).

Beispiel 1: Die Vorteile eines von den Bäuerinnen und Bauern vorangetriebenen Übergangs zur Agrarökologie in den Philippinen

MASIPAG (Magsasaka at Siyentipiko para sa Pag-unlad ng Agrikultura oder Farmer-Scientist Partnership for Development) ist ein Netzwerk von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, NROs und Wissenschaftler*innen in den Philippinen. Zusammengeschlossen haben sich über 35.000 Bäuerinnen und Bauern und diese erhalten Unterstützung beim Übergang zu einer von den Akteur*innen selbst bestimmten nachhaltigen Landwirtschaft und ihren Bemühungen zur Entwicklung eines gesellschaftspolitischen und ökonomischen Umfeldes, welches nachhaltige landwirtschaftliche Familienbetriebe fördert. Die Organisation setzt sich für Agrarökologie ein – und zwar in einem von den Bäuerinnen und Bauern mitgestalteten Kontext, bei dem ihr Wissen und ihre Beteiligung Vorrang haben. Dabei geht es um Reiszucht, die Entwicklung von standortangepassten, von den Akteur*innen selbst bestimmten agrarökologischen Systemen, die Schulung und Miteinbeziehung von Kolleg*innen, die bisher noch nicht mitmachen, durch den gleichberechtigten Austausch von Knowhow und die Entwicklung von Vermarktungssystemen basierend auf dem Prinzip partizipativer Garantiesysteme. Saatgut in den Händen der Bäuerinnen und Bauern – und ihr Wissen um die Zucht und Verbesserung von Sorten – ist ein Weg, die Kontrolle über dieses wichtige Gemeingut zurückzuerlangen und die Antwort der Bäuerinnen und Bauern auf die Zwänge durch geistige Eigentumsrechte an Saatgut sowie die kostenlose, subventionierte Verteilung von Saatgut, welches auf die Zufuhr von Agrochemie angewiesen ist. Die Bäuerinnen und Bauern von MASIPAG haben eine Reihe von Anbaumethoden entwickelt, die sich an verschiedene landwirtschaftliche und klimatische Bedingungen anpassen lassen und nicht unter der Kontrolle irgendeines Unternehmens stehen. Das von ihnen selbst gestaltete Zuchtverfahren hilft sicherzustellen, dass das Saatgut optimal an die lokalen Bedingungen angepasst ist und gute Erträge bringt. Sollte eine Katastrophe eintreten, erhalten die Betroffenen Unterstützung in Form von Saatgut aus nicht betroffenen Gegenden. Um die Verfügbarkeit von Saatgut zu verbessern, verfolgen die meisten Provinzorganisationen die Strategie, Saatgutreserven zu bilden. Die Nutzung von Sorten mit unterschiedlichen Resistenzen und Toleranzen – ein fester Bestandteil der Klimaresistenzstrategie des Netzwerkes – erfordert es von MASIPAG, über 2.000 Reissorten vorrätig zu halten. Aktuell hat MASIPAG 18 Reissorten identifiziert und gezüchtet, die gegen Dürre tolerant sind, zwölf, die Überschwemmungen vertragen, 20, die salzwasserresistent sind, sowie 24, die gegen Schädlinge resistent sind.

2009 wurde eine Studie durchgeführt, in deren Rahmen Befragungen in 280 vollständig agrarökologisch produzierenden Betrieben angestellt wurden sowie in 280 Betrieben, die gerade dabei sind, auf agrarökologischen Anbau umzustellen, und dazu – als Kontrollgruppe – in 280 konventionellen Betrieben. Es ergaben sich überzeugende Belege dafür, dass der Ansatz von MASIPAG die Lebensmittelsicherheit und Ernährung, Gesundheit und finanzielle Situation der Bauernfamilien verbessert hat. Die vollständig agrarökologisch produzierenden Betriebe wiesen eine große biologische Vielfalt auf und erzeugten im Durchschnitt eine um 50 % höhere Ernte als konventionelle Betriebe; die Bodenfruchtbarkeit war besser, es gab weniger Bodenerosion, eine größere Toleranz der Anbaukulturen gegenüber Schädlingen und Krankheiten und bessere betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Die Ernährung der Familien war vielfältiger, gesünder und zuverlässiger und die Nettoeinkommen pro Hektar lagen anderthalb mal höher als bei den konventionellen Betrieben. Im Schnitt hatten sie am Jahresende einen positiven Saldo erwirtschaftet und waren weniger stark verschuldet als konventionelle Haushalte, die mit einem Minus abschlossen. Sogar die Betriebe in der Umstellung auf Agrarökologie verzeichneten ein höheres Einkommen und eine bessere Ernährungssicherheit.

Das belegt den Effekt der politischen Dimension, wenn sich die zusammentun, die die Felder bestellen und die Lebensmittel erzeugen, um die Kontrolle über die Ressourcen wiederzuerlangen und dabei alle Akteur*innen sowie Bündnisse zwischen Erzeuger*innen und Forscher*innen miteinbeziehen, mit denen sich die unausgewogenen Machtverhältnisse überwinden lassen. Dadurch entsteht ein positiver Einfluss auch auf andere Dimensionen der Agrarökologie, wie in diesem Fall auf die soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Dimension.

Quellen/weiterführende Informationen

Bachmann, L., Cruzada, B., Wright, S. (2009). Food Security and Farmer Empowerment. A study of impacts of farmer-led sustainable agriculture in the Philippines.

Beispiel 2: Einrichtung nationaler Agrarökologie-Plattformen zur Förderung des politischen Dialogs in Niger, Burkina Faso und Mali

In Burkina Faso, Niger und Mali hat die Zivilgesellschaft seit 2016 mehrere Konsultationen abgehalten, um auf nationaler Ebene einen kollektiven Ansatz zur Agrarökologie anzustoßen. Verschiedene Bauernorganisationen und lokale, nationale oder internationale NROs interessieren sich dafür, Agrarökologie als Praxis, aber auch als soziale Bewegung einzuführen oder zu fördern. Um eine gemeinsame Vision zu entwickeln und den politischen Dialog mit den Regierungen zu verbessern, beschlossen sie die Einrichtung nationaler Plattformen, die eine gemeinsame Vorstellung von Agrarökologie teilen.

Im Rahmen des Programms zugunsten eines Übergangs zur Agrarökologie (PAIES) von CCFD-Terre Solidaire haben sich Partner in drei Ländern (Mali, Burkina Faso und Niger) vorgenommen, solche Plattformen zu schaffen und zu gestalten: die Plateforme national sur l’agroécologie paysanne (nationale Plattform für kleinbäuerliche Agrarökologie – Mali), das Collectif Citoyen pour l’Agroécologie (Volkskollektiv für Agrarökologie – Burkina Faso) und die Plateforme Raya Karkara (Niger).

Was die politische Dimension von Agrarökologie angeht, versuchen die Plattformen, alle Beteiligten (Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Frauengruppen (speziell aus dem Bereich der Lebensmittelverarbeitung), Verbraucher*innen und Forscher*innen) mit ins Boot zu holen, und planen die Einrichtung weiterer lokaler (regionaler) agrarökologischer Plattformen. Es ist ihre Vision und ihr Plan, die Kontrolle über Land, Wasser und Saatgut wiederzuerlangen.

Diese Plattformen bemühen sich gerade aktiv darum, von den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern selbst gemanagte Saatgutsysteme zu fördern, – und sie kämpfen in Burkina Faso überdies gegen den Anbau gentechnisch veränderter Baumwolle. In den drei Ländern wurden die bestehenden gesetzlichen Saatgutsysteme im Rahmen von Studien untersucht bzw. werden gerade Studien dazu durchgeführt. Die Bauernverbände und Forscher*innen werden ermutigt, sich im Hinblick auf Saatgut zu positionieren, das von Bäuerinnen und Bauern selbst gemanagt wird, um eine neue Gesetzesinitiative einzubringen, die solches selbst entwickelte Saatgut berücksichtigt und schützt. In Burkina Faso wurde wegen eines westafrikanischen Bündnisses namens COPAGEN, welches einen Bericht über die Auswirkungen von Gentechnik veröffentlichte, dem nationalen Forschungsinstitut ein Moratorium zur Gentechnik-Forschung vorgeschlagen.

CCFD–Terre Solidaire stellte Ende 2017 eine Übersicht über diese drei Organisationen fertig, die ihre Ursprünge, aktuellen Aktivitäten und künftigen Initiativen vorstellt. Es dauerte eine Weile, bis es ihnen gelang, eine gemeinsame Vision von Agrarökologie zu definieren. Mali ging noch einen Schritt weiter und konzentrierte sich auf kleinbäuerliche Agrarökologie. Zu den wichtigsten politischen Forderungen der Plattformen gehört es, dass Agrarökologie Teil der nationalen Landwirtschaftspolitik wird und in den damit verbundenen Umsetzungsprogrammen berücksichtigt wird. Manche haben bereits mit der entsprechenden Lobbyarbeit begonnen, wie etwa der Einführung eines Masterstudiengangs in Agrarökologie in Niger und einem Multi-Stakeholder-Dialog in Mali zwecks Überprüfung des Erreichten.

Quellen/weiterführende Informationen

Mali :

–  Mehr über die nationale Plattform und ihr Manifest zur Agrarökologie (in französischer Sprache)

– Die Studie über das Saatgutsystem in Mali (in französischer Sprache):« Semences, normes et paysans: état des lieux du cadre normatif et institutionnel du système semencier et de la place des semences paysannes et des droits des agriculteurs au Mali »

Burkina Faso:

–  Studie zu gentechnisch veränderter Bt-Baumwolle und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern (in französischer Sprache): « Le coton BT et nous: la vérité de nos champs – synthèse d’une recherche paysanne sur les impacts socio-économiques du coton Bt au Burkina Faso »

Überprüfung der agrarökologischen Plattformen:

– In französischer Sprache: “Capitalisation du processus de structuration des plateformes agroecologiques au Mali, Niger et au Burkina Faso“      

Abschließende Überlegungen

Wie in der Einleitung ausgeführt, erleben wir gerade eine soziale, ökologische und ökonomische Krise, die es erforderlich macht, die Art und Weise, wie unsere Ernährungssysteme organisiert sind, fundamental zu ändern. Der Klimawandel macht dies zu einer absoluten Notwendigkeit und gibt der ganzen Angelegenheit eine gewisse Dringlichkeit. Das bedeutet, dass wir die vier Dimensionen der Agrarökologie gemeinsam angehen müssen. Die Aufteilung in unterschiedliche Dimensionen hilft uns, das Potenzial der Agrarökologie deutlicher zu erkennen, aber nichtsdestotrotz ist die Disziplin als Ganzes, als ganzheitlicher Ansatz zu sehen. Viele Bauern- und Kleinbauerngruppen betonen den umfassenden Charakter der Agrarökologie als eine Lebensweise, als etwas Sinnstiftendes. Für sie geht es nicht allein um eine Erwerbsquelle und ein nachhaltiges Agrarökosystem, sondern um ein Leben in Einklang mit der Natur und den Mitmenschen. Die potenziellen Auswirkungen der Agrarökologie beschränken sich auch nicht notwendigerweise auf eine einzige Dimension.

Leider ist diese mangelnde Klarheit von manchen für eine Schwächung des Konzeptes der Agrarökologie genutzt worden: „Mit einem Mal ist Agrarökologie überall groß in Mode, bei den sozialen Basisbewegungen bis hin zur FAO, bei Regierungen, Universitäten und Unternehmen. Aber nicht alle haben dieselbe Vorstellung von Agrarökologie im Kopf. Während die etablierten Institutionen und Unternehmen Agrarökologie jahrelang an den Rand gedrängt und belächelt haben, versuchen sie das Konzept jetzt zu vereinnahmen. Sie picken sich das heraus, was ihnen von Nutzen ist – die technische Seite – und gebrauchen es für Feinabstimmungen an der industriellen Landwirtschaft, während sie weiter dem Modell der Monokulturen und der Vorherrschaft des Kapitals und der Unternehmen innerhalb der Machtstrukturen anhängen“.[1] Dieses Dokument ist unser Versuch, klarzustellen, was Agrarökologie wirklich bedeutet und wie sie aussieht, sowie aufzuzeigen, dass Agrarökologie und die zugrundliegenden Prinzipien zusammengenommen enorm positive Auswirkungen auf die Menschenrechte und das Recht auf Nahrung haben können. Gleichzeitig ist Agrarökologie ein Beitrag, um die Hauptursachen der Probleme zu bekämpfen, denen unsere Gesellschaften derzeit gegenüberstehen, aber auch eine Herausforderung für die bestehenden Machtverhältnisse. Darum ist uns Agrarökologie als Bewegung so wichtig.

Wir sind uns sehr wohl darüber bewusst, dass letzten Endes viele sich ergänzende politische Aktivitäten, ein Übergangsprozess und ein Paradigmenwechsel nötig sind, damit Agrarökologie gelingen und die Prinzipien in ihrer Gänze und schrittweise umgesetzt werden können. Wir sind uns auch bewusst, dass die oben aufgeführten Prinzipien möglicherweise erst in der Entwicklung begriffen sind, einer Überarbeitung bedürfen, vielleicht noch nicht perfekt ausformuliert sind oder nicht zu 100 % mit dem übereinstimmen mögen, wie sich Agrarökologie in der Praxis darstellt. Trotzdem sehen wir dies als ersten Schritt in einem weitergehenden Prozess, der zu einer Aktualisierung und weiteren Klärung der aktuellen Liste von Prinzipien führen wird, die wir zusammengestellt haben.

Prof. Michel Pimbert, Coventry University (UK)

Die nächsten Schritte umfassen unter anderem die Erstellung eines „Praktischen Leitfadens für die Umsetzung der Prinzipien“, den wir idealerweise als Grundlage für die Aufnahme eines Dialogs zwischen unseren Organisationen nutzen würden (über Lobby-Strategien und ‑Programme und zur Wahrung einer gemeinsamen Stoßrichtung), aber auch innerhalb der weiteren agrarökologischen Bewegung. Deshalb handelt es sich hierbei um ein dynamisches Dokument und um eine Einladung zum Dialog darüber, was Agrarökologie bedeutet und wie sie aussieht.

Wer wir sind

Dieses Dokument wurde von einer Arbeitsgruppe für Agrarökologie bei CIDSE entwickelt und ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit und eines Dialogs, die im Laufe des vergangenen Jahres stattgefunden haben.

Die Gruppe bestand aus folgenden Mitgliedsorganisationen: Broederlijk Delen (Belgien), CAFOD (England und Wales), CCFD-Terre Solidaire (Frankreich), Entraide & Fraternité (Belgien), Focsiv (Italien), KOO/DKA (Österreich), MISEREOR (Deutschland), SCIAF (Schottland) und Trócaire (Irland).

CIDSE ist ein internationaler Zusammenschluss katholischer Organisationen und Werke aus verschiedenen Ländern, die sich gemeinsam für Gerechtigkeit einsetzen.

Kontakt: François Delvaux, Referent für Klima & Landwirtschaft und Ernährungssouveränität delvaux(at)cidse.org

Ressourcen

CIDSE webseite: www.cidse.org

The Principles of Agroecology- Towards just, resilient and sustainable food systems, Von CIDSE

Climate-Smart Agriculture: the Emperor’s new clothes? Von CIDSE