Die Prinzipien der Agrarökologie

Auf dem Weg zu sozial gerechten, widerstandsfähigen und nachhaltigen Lebensmittelsystemen

CIDSE

Vorwort

Was meinen wir überhaupt mit Agrarökologie? Wie sieht Agrarökologie aus? Ist das Modell skalierbar? Gibt es konkrete Beispiele? Wie kann man in diesen Bereich investieren oder ihn unterstützen? Wie ist es um die Produktivität bestellt? Gibt es Daten, die die Effizienz belegen? Wird Agrarökologie den Versprechungen gerecht? Dies sind nur ein paar der Fragen, die oft gestellt werden, wenn wir mit Leuten sprechen, die mit Agrarökologie weniger vertraut sind. Im Gespräch mit Fachleuten werden andere Fragen aufgeworfen:

“Ich glaube nicht, dass sie wirklich von Agrarökologie sprechen: Agrarökologie beschränkt sich nicht auf die Verbesserung der Bodengesundheit; es geht um so viel mehr!

“Es ist unglaublich: sie reden von Agrarökologie, haben aber den Begriff inhaltlich ausgehöhlt. Es sieht so aus, als wollten sie nur dem industriellen Modell ein grünes Mäntelchen umhängen.

“So sehen vielleicht Wissenschaftler Agrarökologie, aber kleinbäuerliche Bewegungen haben ein ganz anderes Verständnis.”

“Er/Sie verwendet zwar den Begriff Agrarökologie nicht, aber das Gesagte passt ziemlich genau dazu, wie wir Agrarökologie sehen und definieren.

So könnte es ewig weitergehen. Ganz allgemein besteht noch Bedarf, zu klären, was Agrarökologie ist und was nicht. Nur so kann es gelingen, politische Unterstützung zu gewinnen, damit die Disziplin Auftrieb erhält, eine Vereinnahmung und Verwässerung des Konzepts zu verhindern, falsche Lösungen zu bekämpfen usw. Soziale Bewegungen, die Zivilgesellschaft, internationale Institutionen und die Wissenschaft haben in den letzten Jahren mehrfach versucht klarzustellen, was Agrarökologie bedeutet. Dieser Trend geht weiter, da sich noch immer viele an einer Verdeutlichung des Begriffs versuchen.

Auch in unserem Netzwerk bemerkten wir ein solches Bedürfnis nach Klarstellung und einer gemeinsamen Ausrichtung. Dies hier ist ein erstes Ergebnis unserer Bemühungen. Es wurde beschlossen, die Prinzipien in Anlehnung an die vier Nachhaltigkeitsdimensionen zu Gruppen zusammenzufassen: die ökologische, die soziale und kulturelle, die ökonomische und die politische Dimension. Diese Vorgehensweise erscheint uns geeignet, weil sie der Komplexität und Multidimensionalität der Agrarökologie gerecht wird. Sie erlaubt ein Verständnis von Agrarökosystemen und Ernährungssystemen unter Berücksichtigung des jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umfeldes.[1] Überdies stützt sie sich auf Prinzipienkategorien, die von anderen Akteur*innen der agrarökologischen Bewegung schon in früheren Arbeiten identifiziert wurden.

Wir haben ein eindeutiges Ziel: Der Begriff der Agrarökologie soll nicht neu definiert werden, sondern es geht um die Identifizierung von Prinzipien, die unsere Sichtweise, aber auch unsere anwaltschaftliche und projektbasierte Arbeit untermauern. Es gilt, eine gemeinsame Vision zu erarbeiten und das Verständnis von Agrarökologie weiterzuentwickeln: Was bedeutet Agrarökologie – aus unserer Sicht eines der Hauptelemente bei der Sicherung von Ernährungssouveränität und Klimagerechtigkeit – und wie sieht sie in der Praxis aus?

Das ist der erste Schritt in einem umfassenderen Prozess, der auch die Entwicklung eines praktischen Leitfadens beinhalten wird. Zusammen mit den Prinzipien soll dieser als Grundlage dienen, um in verschiedenen Teilen der Welt und zwischen den Mitgliedsorganisationen unseres Netzwerkes einen Dialog in Gang zu bringen (zwecks Bewertung aktueller Praktiken und Strategien). Wir leben in einer Zeit, in der unsere Gesellschaften vor tiefgreifenden sozialen, ökologischen und ökonomischen Krisen stehen und der Klimawandel dringend eine fundamentale und radikale Neuausrichtung vorherrschender Produktions- und Konsummuster erfordert. Daher ist es so wichtig, dass die Agrarökologie von vielen verstanden und unterstützt wird. Mit diesem Beitrag hoffen wir, zur Stärkung der agrarökologischen Bewegung beitragen zu können – und genau das ist der Zweck unseres Einsatzes für Agrarökologie.

Prof. Michel Pimbert, Coventry University (UK)