3. Die ökonomische Dimension von Agrarökologie

3.1 Agrarökologie stärkt faire, kurze und netzartige Vermarktungswege anstelle linearer Lieferketten und schafft ein transparentes (in der formellen Wirtschaft oft unsichtbares) Beziehungsnetzwerk zwischen Erzeuger*innen und Verbraucher*innen.

3.2 Agrarökologie schafft in erster Linie Existenzgrundlagen für kleinbäuerliche Haushalte und trägt dazu bei, die Märkte, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt vor Ort zu stärken.

3.3 Agrarökologie basiert auf der Vision einer sozialen und solidarischen Wirtschaft.

3.4 Agrarökologie fördert die Resilienz der Haushalte durch eine Diversifizierung von Produktion und Existenzgrundlagen, die Unabhängigkeit von externen Betriebsmitteln und reduziert durch das breit aufgestellte System das Risiko eines Ernteausfalls.

3.5 Agrarökologie stärkt die Leistungsfähigkeit lokaler Märkte und gibt Lebensmittelproduzent*innen die Möglichkeit, ihre Erzeugnisse zu fairen Preisen zu verkaufen und auf die lokale Nachfrage zu reagieren.

3.6 Agrarökologie verringert die Abhängigkeit von externer Hilfe und erhöht die Autonomie der Bevölkerung, indem sie nachhaltige Existenzgrundlagen und die Würde der Menschen fördert.

Auswirkung dieser Dimension

Durch die Nutzung lokaler Ressourcen und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln für lokale und regionale Märkte hat die Agrarökologie das Potenzial zur Förderung lokaler Wirtschaftssysteme und kann einen Beitrag dazu leisten, die negativen Folgen des „freien“ Welthandels für kleinbäuerliche Existenzen zu vermeiden.

Judith Hitchman, President & co-founder of Urgenci

Agrarökologische Praktiken sind wirtschaftlich sinnvoll, da agrarökologische Anbaumethoden die Kosten für externe Betriebsmittel und damit die finanzielle und technische Abhängigkeit verringern und den Lebensmittelerzeuger*innen größere Autonomie lassen. Dank einer Diversifizierung der Produktion und der kleinbäuerlichen Tätigkeit sind die Produzent*innen weniger anfällig für marktbezogene Risiken wie volatile Preise und Verluste infolge extremer Wetterereignisse, die durch den Klimawandel zunehmen. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern profitieren in besonderem Maße von einer Umsetzung der Agrarökologie, weil sie ihre Erträge und Einkommen nachhaltig steigern und ihre Ernährungssicherheit verbessern können. Im Hinblick auf Produktivität und Einkommen nutzt Agrarökologie ganz besonders den weniger wohlhabenden Haushalten und kann deshalb als grundsätzlich „armenorientiert“ bezeichnet werden. Agrarökologie bringt auch einen Nutzen für die Volkswirtschaft durch die Bereitstellung von angepasster Technologie und lebensmittelbasierten Beschäftigungsmöglichkeiten in ländlichen und peri-urbanen Gebieten. Aber sogar für Stadtbewohner*innen mit kleinen Grundstücken oder Zugang zu öffentlichem Land bietet sich eine Lebensgrundlage. Eines der erklärten Ziele der Agrarökologie ist es, menschenwürdige Arbeit zu schaffen, welche die Menschenrechte respektiert und den Erzeuger*innen von Lebensmitteln ein Auskommen sichert. Durch kürzere Wege zwischen Produzent*innen und Verbraucher*innen verringert die Agrarökologie die Kosten für Lagerung, Kühlung und Transport, was auch Nahrungsmittelverluste und das Abfallaufkommen minimiert. Agrarökologie berücksichtigt in vollem Umfang die externen Kosten für Gesellschaft und Umwelt, da weniger Abfall anfällt und gesundheitliche Folgen verringert werden. Daneben sind positive externe Effekte zu verzeichnen – wie etwa die Gesundheit der Ökosysteme, ihre bessere Widerstandskraft und Regeneration.

Beispiel 1: Agrarökologie nützt ländlichen Wirtschaftssystemen

2016 bereitete Trócaire zusammen mit der lokalen Partnerorganisation Red K’uchubal einen Forschungsaufruf vor. Ziel war es, die Veränderungen im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung und Resilienz unter Kleinbauernfamilien einzuschätzen, die im westlichen Guatemala agrarökologische Praktiken übernommen hatten. Das Programm für Territoriale und Ländliche Studien an der Universität San Carlos in Guatemala wirkte federführend in dem Team mit, das 2016 die Untersuchung durchführte. Es wurden Kennzahlen basierend auf einer ganzen Reihe sozialer, ökonomischer und ökologischer Kriterien betrachtet, wobei eine Gruppe von zehn agrarökologisch wirtschaftenden Bauernfamilien mit zehn semi-konventionellen Familienbetrieben verglichen wurde. Die Untersuchungsergebnisse wurden 2017 veröffentlicht und finden sich in einem auf Spanisch abgefassten Bericht (mit einer kurzen Zusammenfassung in Englisch) sowie einem Video in spanischer Sprache mit englischen Untertiteln.

Was die ökonomische Dimension von Agrarökologie angeht, fand die Studie statistisch signifikante Unterschiede bei den landwirtschaftlichen Bruttoeinkommen. Die agrarökologisch wirtschaftenden Betriebe verzeichneten ein höheres Einkommen aus der Landwirtschaft als die der semi-konventionell arbeitenden Vergleichsgruppe. Im Ergebnis berichteten die agrarökologischen Bäuerinnen und Bauern, genug Einkommen zu erzielen, um ganzjährig von ihrem Land leben zu können, während ihre semi-konventionellen Pendants angaben, außerhalb der Landwirtschaft hinzuverdienen zu müssen, um ihr Einkommen aufzustocken. Dieses Ergebnis basiert auf mehreren Faktoren:

– Vergleichbare Ernteerträge etwa für Mais – aber ohne Abhängigkeit von teuren Betriebsmitteln wie Kunstdünger, Pestiziden und Herbiziden,

– Bessere Einbindung in lokale Märkte verbunden mit einer größeren Vielfalt der Produktion und

– Geringere Abhängigkeit vom Zukauf von Lebensmitteln, um die Eigenversorgung und den Nährstoffbedarf zu erfüllen; agrarökologische Haushalte gaben im Vergleich zu konventionellen Haushalten pro Woche durchschnittlich nur 47% des Geldes für Lebensmittel aus.

Das Video beschäftigt sich mit der Entwicklung agrarökologischer Produktionsketten und der wichtigen Rolle von Agrargenossenschaften bei der Vermarktung agrarökologischer Produktlinien; es zeigt, wie Agrarökologie bäuerliche Existenzen sichert und gleichzeitig zur Stärkung lokaler Märkte und Wirtschaftssysteme, sowie des Arbeitsmarktes vor Ort beiträgt.

Quellen/weiterführende Informationen

Praun, A., Calderón, C., Jerónimo, C., Reyna, J., Santos, I., León, R., Hogan, R., Córdova, JPP. (2017). Algunas evidencias de la perspectiva agroecológica como base para unos medios de vida resilientes en la sociedad campesina del occidente de Guatemala.

Beispiel 2: Wie eine Mikrofinanzinstitution Finanzprodukte an der Umweltverträglichkeit von Anbaumethoden ausrichtet

Die Entwicklung und Finanzierung des Übergangs und der Übernahme agrarökologischer Praktiken ist ein wichtiges Thema für viele Landwirtschaftsorganisationen in Westafrika. Die Akteure im Rahmen des PAIES-Programme, CCFD und SIDI (der Mikrofinanzzweig von CCFD), beschäftigen sich seit 2014 im Auftrag ihrer Partner mit diesem Thema, um das PAIES-Programm auf die Beine zu stellen (welches landwirtschaftlichen Betrieben beim Übergang zur Agrarökologie helfen soll). Der Übergang ist nicht alleine durch direkte Hilfen der NRO zu bewerkstelligen; er muss in Mikrofinanzangebote und ‑produkte für Bäuerinnen und Bauern eingebettet sein.

Als Reaktion auf Probleme aller Bauernverbände hat UBTEC, eine Mikrofinanzinstitution (Caisse d’Epargne et Crédit), die agrarökologischen Praktiken der Mitglieder untersucht, um Finanzprodukte mit einem Bonus-/Malus-System (einem niedrigeren bzw. höheren Zinssatz) zu entwickeln, welches an die Umweltverträglichkeit der Anbaumethoden gekoppelt ist.

Die Untersuchung lieferte eine Übersicht über landwirtschaftliche Praktiken im nördlichen Burkina Faso und analysierte die Rentabilität der Produktion in Abhängigkeit von Methoden und Praktiken (Nutzung von Chemikalien gegenüber Agrarökologie). Es entstand ein Katalog der nachhaltigsten Praktiken in der Landwirtschaft und über die Landwirtschaft hinaus (unter ständiger Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit). Dieser Katalog ermöglichte es UBTEC, durch seine aktuellen Finanzprodukte nachhaltige Methoden zu fördern.

Es zeigte sich, dass manche Anbauerzeugnisse potenziell profitabler sind, wenn die Bäuerinnen und Bauern einen agrarökologischen Ansatz und Methoden verwenden wie etwa den Einsatz organischer Düngemittel und natürlicher Pestizide (Zwiebeln, Kartoffeln oder Kuhbohnen). Daneben gab es aber auch welche, die am Ende weniger rentabel oder unrentabel sein konnten (Tomaten, Chilis oder Kohl). Das ist eine wichtige Erkenntnis. Es muss eine Balance gefunden werden zwischen der Rentabilität und dem agrarökologischen Ansatz, der die Umwelt und die Gesundheit von Erzeuger*innen und Verbraucher*innen schont. Durch die Untersuchung wurden die Merkmale agrarökologischer Praktiken dargelegt, um auf Ebene des einzelnen landwirtschaftlichen Betriebs ein Modell für die Umsetzung und Prioritätensetzung erstellen zu können. Untersuchungsgegenstand waren ferner verschiedene Arten von Investitionen, die Bäuerinnen und Bauern zwecks Ertragserhöhung tätigen, Lock-in-Effekte, denen sich Lebensmittelerzeuger*innen gegenübersehen, und mögliche Strategien, diese zu reduzieren. Diese unterschiedlichen Komponenten der Forschungsarbeit erlaubten es UBTEC, Finanzierungsinstrumente zu entwickeln und landwirtschaftliche Aktivitäten zur Finanzierung auszuwählen, aber auch Kreditnehmer*innen bei der Übernahme von Agrarökologie praktisch zu unterstützen. So wurden Ende 2017 als Ergebnis der Untersuchung und Partnerschaft neue Finanzprodukte aufgelegt (saisonale Landwirtschaftsdarlehen), die durch einen Garantiefonds gesichert sind. Dabei hat UBTEC begonnen, den Mitgliedern Geld zu einem variablen Zinssatz zu leihen, der von den verwendeten landwirtschaftlichen Praktiken und ihrer Umweltverträglichkeit abhängig ist. Für Agrarökologie gibt es einen niedrigeren Zinssatz, für nicht agrarökologische Methoden einen höheren Zinssatz. Seit der Einführung dieses Angebotes vor vier Monaten sind schon 450 Anträge von Landwirtschaftsbetrieben auf Finanzierung agrarökologischer Praktiken eingegangen.

Quellen/weiterführende Informationen

“Rapport de l’étude pour adapter les produits financiers de l’UBTEC avec un système de Bonus/Malus en fonction de l’impact environnemental des activités financées : Programme PAIES »

http://docplayer.fr/71357247-Rapport-final-union-des-baore-tradition-d-epargne-et-de-credit-naam-ubtec-bp-100-ouahigouya-tel-mail-btecfngnyahoo.html

Video über die Untersuchung und ihre Durchführung.